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Die Ukraine. Nachdem das zwischen West-Europa und Russland gelegene krisengeschüttelte Land in der jüngeren Vergangenheit mehrfach Schauplatz blutiger Eskalationen war, stellt sich schon die Frage, ob ein Besuch dieses Landes wohl eine gute Idee ist. Und man kann diese Frage nur mit aller Deutlichkeit beantworten: Ja, definitiv ja!

Zunächst sind wir damals jedoch mit äußerst gemischten Gefühlen nach Kiew geflogen. Wir hatten keine Ahnung, was uns da wohl erwarten würde. Zeitweise haben wir uns schon gefragt, ob wir eigentlich komplett den Verstand verloren haben, um in ein nicht-EU Land zu fliegen, das sich in einem offenen, bewaffneten Konflikt befindet und um dort in einer nuklearen Sperrzone die Überreste eines havarierten Kernkraftwerks zu besuchen. Keiner von uns hat auch nur ein Wort Ukrainisch oder Russisch gesprochen. Keiner von uns hatte auch nur einen Geldschein ukrainischer Währung im Geldbeutel. Teilweise haben wir uns gefragt, ob wir von dieser Reise wohl lebend zurückkehren werden.

Doch noch nie waren wir von einem Reiseziel derart positiv überrascht. Noch nie wurden unsere Erwartungen derart positiv über den Haufen geworfen. Dass wir so beeindruckt sein würden und dass diese Stadt einen solch bleibenden Eindruck hinterlassen würden, haben wir in unseren kühnsten Träumen nicht vorgestellt.

In wenigen Tagen hat uns die ukrainische Hauptstadt ein schier unvorstellbar geniales Programm aus komplett surrealen und bizarren aber dennoch faszinierenden und einzigartigen Erlebnissen beschert, die wir in unserem Leben wohl nie wieder vergessen werden.

Cultural Clash Nr. 1 – Die Ankunft in Kiew

Bereits das erste surreale Erlebnis wurde uns unmittelbar nach unserer Landung spätabends am Flughafen beschert. Wenige Tage zuvor haben wir noch von den Betreibern unseres Apartments ein Taxi vom Flughafen zu unserer Unterkunft bestellt.

Als dann am Flughafen ein griesgrämig dreinschauender, gruseliger Taxifahrer nach der Bauart osteuropäischer Schlägertyp auf uns wartete, wurde uns dann doch ein bisschen mulmig. Dass der Fahrer kein Wort deutsch oder englisch konnte und dass er noch darüber hinaus generell kaum ein Wort gesprochen hat, trug nicht gerade zu unserer Beruhigung bei.

Optimistisch wie wir eben sind, folgten wir unserem Fahrer schön brav zu einem gespenstisch beleuchteten, so gut wie menschenleeren Parkplatz. Dort wartete bereits ein zweiter, nicht weniger gruseliger Fahrer auf uns. Mit einschüchternden Gesten deuteten uns die Fahrer, wir sollen uns doch bitte auf zwei Autos aufteilen.

So standen wir also an diesem düsteren, furchteinflößenden Parkplatz in mitten finsterster Nacht und zwei dubiose Gestalten wollten, dass wir uns aufteilen und in zwei klapprige, alte Autos einsteigen.

In Horrorfilmen ist dies wohl der Punkt, wo man sich als Zuschauer fragt, wie die Protagonisten nur so dumm sein können, in das Autos des Massenmörders einzusteigen und warum sie nicht sofort um ihr Leben rennen.

Wird schon schief gehen sagten wir uns, no risk no fun. Also stiegen wir brav in die Autos ein, in der Hoffnung, dass das schon echte Taxifahrer sein werden und keine manischen Schwerverbrecher, die sich ihre Finger danach wetzen, solch knackig junge Entführungsopfer in ihre Klauen zu bekommen.

Und so saßen wir dann im Auto, berieselt von ukrainischer Volksmusik, die leise aus den Lautsprechern ertönte, und fuhren des nächtens gen Kiew, entlang einer breiten, wenig befahrenen Autobahn, spärlich beleuchtet im schummrigen Licht der Straßenlaternen. Einzig ein paar Militärtransporter und schwer beladene Lastwagen waren außer uns noch auf der riesigen aber fast menschenleeren Autobahn unterwegs.

So weit so gut. Zunehmens näherten wir uns Kiew, passierten schließlich die Grenzen der Stadt und fuhren in Richtung Stadtzentrum, an dem unsere Unterkunft lag. Doch noch immer hatten wir sehr gemischte Gefühle. Aber wenn wir jetzt tatsächlich entführt, ausgeraubt und abgeschlachtet werden, haben wir zumindest noch etwas von Kiew gesehen.

Kalt und karg, trist und traurig wirkte die Stadt in der Finsternis der Nacht. Noch ahnten wir nicht, wie beeindruckend und schön das alles bei Tageslicht wirken würde. Doch für die Schönheit der in Dunkelheit gehüllten Stadt, hatten wir zu diesem Zeitpunkt ohnehin noch kein Auge. Zu sehr waren wir noch von unserer Taxifahrt angespannt und zu sehr hofften wir, auch wirklich zu unserem Appartement gebracht zu werden und nicht zu einem osteuropäischen Organhändler.

Und als wir dann letztlich in einer gespenstischen Nebenstraße vor unserem Appartement abgesetzt wurden, heil und unversehrt, wurde uns auch bewiesen, dass unsere Bedenken und unser Unwohlsein nur klischeehaften Vorurteilen geschuldet war. Ein sehr surreales Erlebnis war die Fahrt aber allemal. Und das sollte gerade einmal der Anfang sein. Zu diesem Zeitpunkt hätten wir uns nicht erträumen lassen, was wir die nächsten Tage über noch für morbide, skurrile Situation erleben sollten.

Cultural Clash Nr. 2 – Zu Gast in einem japanischen Restaurant

Nachdem wir dann unser Quartier bezogen haben, ließ auch schon der nächste Cultural Clash nicht lange auf sich warten. Denn ausgehungert wollten wir uns spätnachts unbedingt noch auf Nahrungssuche begeben und noch einen Happen essen. Einziges Restaurant, welches in der Nähe unserer Unterkunft noch geöffnet hatte, war ein japanisches Lokal direkt am Majdan Platz, in das uns unser Hunger letztendlich hinein trieb.

Japanisches Restaurant

https://www.sushiya.ua/en/restorany/restorany_restorany/ul_-b_-grinchenko_-21_-ploshad-nezavisimosti/

Zu sagen, dass unsere Reisegruppe aus sechs jungen Mitteleuropäern/innen in dem Lokal auffiel wie ein Rudel karierter Hunde, wäre eine maßlose Untertreibung. Mit großen Augen und teils staunenden, teils beunruhigten Gesichtern wurden wir beim Betreten des Lokals von der jungen Belegschaft gemustert. Schwer zu sagen, für welche Partei diese Situation wohl kurioser war, für uns als Gäste oder für unsere Gastgeber/innen.

Da saßen wir dann in der ukrainischen Hauptstadt in einem japanischen Restaurant und beobachteten wie die jungen Kellner/innen ausknobelten, wer uns denn nun bedienen müsse. Dass die arme Verliererin, die uns dann bewirten „durfte“, kein Wort englisch sprach, hat der Situation sicherlich nichts an Kuriosität genommen. Sichtlich nervös und angespannt mit einem Hauch von Furcht in den Augen näherte sich unsere junge Kellnerin dem Tisch.

Glücklicherweise waren sämtliche Speisen in der Speisekarte in farbigen Abbildungen dargestellt, was die Essensauswahl und die Bestellung erheblich erleichterte. So konnten wir durch einfaches Deuten auf die Speisen unserer Wahl die Bestellung so einfach wie möglich halten.

Als dann das Essen serviert wurde, konnte unsere Überraschung nicht größer sein. Wir hätten nicht erwartet, ein derartig gutes japanisches Essen zu bekommen, das sich in keinster Weise hinter japanischen Lokalen hierzulande versteckten braucht. Und noch erstaunter waren wir dann von den Preisen, denn eine Portion kostete umgerechnet nur wenige Euro. Ausgehungert und auf den Geschmack gekommen, haben wir dann noch das ein oder andere mal nachbestellt.

Die Verwunderung unserer Kellnerin wuchs dabei von Bestellung zu Bestellung an. Doch ebenso fiel ihre anfängliche Skepsis und ihr Unbehagen stetig ab und sie taute nach jeder Bestellrunde immer mehr auf. Schließlich gab sie uns dann sogar einige Empfehlungen ab, durch einfaches Kopfschütteln als wir auf anscheinend nicht sehr empfehlenswerte Gerichte deuteten und durch begeistertes Nicken als wir auf ein vermeintliches Highlight des Speisekarte deuteten.

So waren wir am Ende unseres Besuches nach drei bis vier Portionen pro Person wohl genährt und keiner von uns hat über zehn Euro ausgegeben. Bei diesen für unsere Verhältnisse absoluten Spottpreisen war es natürlich Ehrensache für uns fleißig Trinkgeld zu geben. Die Belegschaft wusste wohl immer noch nicht so recht, was sie jetzt von uns dubiosen Gästen halten soll, doch man merkte, dass sie unsere Großzügigkeit in Sachen Trinkgeld hoch angerechnete.

So verließen wir schließlich das Lokal, nach wie vor die starrenden Blicke auf uns spürend, nach einem Restaurantbesuch, der nicht nur uns, sondern bestimmt auch unseren Gastgebern/innen nachhaltig im Gedächtnis bleiben sollte und von dem beide Parteien wohl noch über Jahre hinweg berichten werden.

Cultural Clash Nr. 3 – Soldatenaufmarsch am Majdan

So fing unser Besuch in Kiew schon mal mit zwei äußerst skurrilen Erlebnissen an. Doch dabei sollte es bei weitem nicht bleiben.

Am nächsten Tag hatten wir dann unseren Ausflug in die nukleare Sperrzone um das havarierte Kernkraftwerke in Tschernobyl herum. Dass dieser Ausflug nur so von Surrealität strotzte, kann sich wohl jeder vorstellen. Auf die einzigartigen Impressionen dieses Ausflugs wollen wir an anderer Stelle noch ausgiebig eingehen [Link zu Tschernobyl Artikel]. Was uns aber am Abend dieses Tages noch widerfahren ist, als wir wieder zurück in Kiew waren, hätten wir uns in unseren kühnsten Träumen nicht vorgestellt.

Spätnachmittags wollten noch ein wenig die Stadt erkunden und uns etwas zu essen suchen. Kurzerhand steuerten wir den Majdan an, den wohl größten und berühmtesten Platz Kiews, der nicht weit von unserem Appartement weg lag, an dem wir auch am Abend zuvor unser japanisches Restaurant entdeckt haben.

Vor wenigen Jahren kam es auf diesem Platz zu blutigen Ausschreitungen zwischen regierungskritischen Demonstranten und der regierungstreuen Polizei. Und an dieser Stelle standen wir nun und konnten plötzlich unseren Augen nicht mehr trauen, denn wir standen auf einmal mitten in einer Militärparade.

Just im dem Moment, als wir den Platz betraten, begann eine Blaskapelle einen klassischen Militärmarsch zu spielen und hunderte Soldaten gekleidet in feinster Galauniform marschierten im Gleichschritt über den Majdan.

Dieses militärische Schaulaufen wurde von Scharen der Kiewer Bevölkerung beobachtet, welche patriotisch ukrainische Fahnen durch die Luft schwenkten und den marschierenden Soldaten zujubelten. Viele Menschen waren in traditioneller ukrainischer Tracht gekleidet, in lange weiße Gewänder mit roten Verzierungen und Stickereien.

Wir kamen uns vor wie im falschen Film. Stehen wir hier etwa gerade am Rande einer kriegerischen Eskalation und erleben live mit, wie sich ukrainische Truppen patriotisch von ihrer Heimat verabschieden, um gen Moskau in den Krieg ziehen?

Erst sehr viel später haben wir erfahren, dass dies Proben für Feierlichkeiten anlässlich eines ukrainischen Nationalfeiertages waren, welche in der Woche nach unserem Besuch stattfinden sollten.

Doch zu diesem Zeitpunkt standen wir ratlos und unwissend mit offenen Mündern und staunenden Gesichtern, begeistert und fasziniert ob des Schauspiels, das wir hier gerade beobachteten, und gleichzeitig entsetzt und voller Unbehagen, kannten wir doch die Hintergründe hinter diesem Aufmarsch noch nicht.

Und wie sich später am Abend noch herausstellten sollte, war das gerade einmal die Spitze des Eisbergs.

Cultural Clash Nr. 4 – Mitten drin in einer ukrainischen Militärparade

Nach dieser unverhofften Showeinlage brauchten wir erst einmal ein paar Minuten, um uns zu sammeln und um das soeben Erlebte begreifen zu können. Schließlich setzten wir dann unser Sightseeing fort und steuerten alsbald ein Burgerrestaurant in der Nähe des Majdan an, um uns auf diese Überraschung hin erst einmal zu stärken

Dieses Mal mussten wir auch keinen all zu großen Cultural Clash erleben wie tags zuvor in dem japanischen Restaurant. Die Belegschaft hier konnte sehr gut englisch und bewirtete uns vorbildlich. Und trank hin und wieder einen Schluck Wodka, nicht sonderlich subtil, sondern ganz offen vor den Augen aller Gäste, was wir überaus sympathisch fanden. Auch das Essen war vorzüglich. Eigentlich war das Lokal ein ausgezeichneter Hipster Burgerladen, den man in dieser Weise genauso gut in München, London oder New York finden könnte.

Starburger Starburger

Nachdem wir uns die köstlichen Burger schmecken haben lassen und noch gemütlich bei einem Craft Bier zusammen saßen, kam dann das Erlebnis, das alles andere in den Schatten stellen sollte.

Plötzlich fing es draußen an laut zu dröhnen, der Boden bebte und die Fensterscheiben des Lokals vibrierten. Wir haben uns gefragt, was denn jetzt plötzlich los sei. Sind wir jetzt auch noch Zeuge eines Erdbebens? Zieht ein streunender Tyrannosaurus Rex durch die Straßen? Oder landet nur ein UFO am Majdan?

Doch was nun passierte ist, war der absoluten Oberabschuss. Jetzt konnten wir endgültig unseren Augen nicht mehr trauen. Plötzlich fuhr direkt vor dem Restaurant ein Panzer nach dem anderen vorbei. Jetzt glaubten wir endgültig im falschen Film zu sein und wussten endgültig nicht mehr, was wir sagen sollen.

Dieses Schauspiel mussten wir natürlich live begutachten und haben uns sofort auf die Straße begeben. So wurden wir Zeugen, wie ein ganzes Kriegsarsenal aus dutzenden schwerer Kriegsmaschinen nur wenige Meter vor uns durch das nächtliche Kiew kutschiert wurde. Eine große Kriegsmaschine nach der nächsten zog an uns vorbei und es wurden immer größere Geschützte aufgefahren, bis hin zu gigantischen Langstreckenraketen.

Der Boden vibrierte geradezu unter der Wucht dieser massiven Gerätschaften. Ein ohrenbetäubendes Donnern dröhnte durch die Nacht. Die Luft war stickig, es stockte einem der Atem durch stark riechende Abgase. In den Häuserschluchten sammelten sich Rauch- und Abgasschwaden zu einer immer dichter werdenden Nebelwand.

Und zum Abschluss dieser Parade marschierte nochmals ein Trupp von Soldaten im Gleichschritt entlang und sang dazu ein patriotisches Volkslied. Unisono hallten die Stimmen von dutzenden Soldaten durch die Nacht. Reißerisch brüllten sie wie aus einer Kehle den Namen ihres Landes in den Nachthimmel.

Als wir uns dann einmal umsahen und bemerkten, dass wir die einzigen Zivilisten in mitten einer riesigen Schar ukrainischer Soldaten waren, welche dieses militärische Schaulaufen beobachteten, war das endgültig die Spitze der Absurdität und das i-Tüpfelchen auf dem wohl skurrilsten Erlebnis unseres ganzen Lebens.

Wie sich später herausstellen sollte, wurden wenige Tage später am ukrainischen Nationalfeiertag sowohl der Soldatenaufmarsch als auch die Parade der Kriegsmaschinerie bei Tageslicht und vor Massen von Zuschauern erneut aufgeführt und wir sind in mitten der Generalprobe dieser Feierlichkeiten gelandet.

Unwissend dieser Tatsache standen wir komplett ratlos da, waren total überwältigt von diesen Impressionen, wussten nicht einzuschätzen was uns da gerade widerfahren ist und haben noch lange gebraucht, um zu verarbeiten, was wir da miterlebt haben.

So oder so waren wir uns einig. Die Entscheidung hierher zu kommen war goldrichtig. In weniger als 24 Stunden haben wir so viele einzigartiger Impressionen gewonnen und unvergessliche Erinnerungen gesammelt, die uns keiner mehr nehmen kann und die uns so schnell auch keiner nachmachen wird.

Die Messlatte an surrealen Erlebnissen lag nach diesem Erlebnis nun zwar unerreichbar hoch und sollte auch nicht mehr getoppt werden. Aber dennoch hatte Kiew auch am nächsten Tag noch einiges in petto und hat uns nochmals die ein oder andere skurrile Situation beschert, die es mehr als nur wert ist, berichtet zu werden.

Cultural Clash Nr. 5 – In den Katakomben eines Klosters

Am nächsten Tag stand ein kompletter Tag Sightseeing in Kiew und Erkunden der Stadt auf dem Programm.

Unser Weg hat uns am frühen Vormittag zu dem Kiewer Höhlenkloster geführt, einer großen Anlage aus Kirchen, Klöstern und weiteren sakralen Bauten, die sich über einen Hügel in mitten der Stadt erstreckten.

In unserem Reiseführer haben wir gelesen, dass das namensgebende Höhlensystem unterhalb des Klosters sehr empfehlenswert sein sollen. Zunächst haben wir uns aber erst einmal überaus doof angestellt, den Eingang zu diesen Höhlen überhaupt zu finden und sind die durchaus sehr beeindruckende Klosteranlage fragend suchend zwei mal abgelaufen.

Als wir den gut versteckten Eingang dann entdeckt haben, waren wir zunächst noch unschlüssig, ob wir diese Höhlen wirklich besuchen wollten. Schließlich sind wir alle nicht sonderlich religiös, hätten extra Eintritt dafür zahlen müssen, haben durch die Suche nach dem Eingang schon so viel Zeit verloren und draußen war so herrliches Wetter. Als uns dann aber auffiel, dass der Eintritt umgerechnet gerade mal einen Euro kostet, haben wir beschlossen, den Spaß kann man sich schon mal gönnen. Wie oft ist man schließlich in Kiew.

Also beschlossen wir sechs Kretins, die kaum Ahnung von der ukrainischen Kultur und Religion hatten, eigentlich mehr aus Jux und Tollerei diesen Ort zu besuchen, weil wir halt rein zufällig schon mal da sind, und hatten keine Vorstellung davon, welch sakrale und tief religiöse Bedeutung dieser Ort für die gläubige, einheimische Bevölkerung hat.

Am Eingang zu den Höhlen wird man zunächst mit einer kleinen Kerze ausgerüstet und zu freizügig gekleidete Frauen müssen sich mit einer Kutte bedecken. Und wie sich zeigt, ist die Kerze auch von wichtiger Bedeutung, denn in den Höhlen ist es stockfinster.

In dem Höhlensystem verbindet ein Netz aus engen, schmalen, verwinkelten Gängen eine Vielzahl von Kammern miteinander, in welchen in Glasvitrinen mumifizierte Leichen verstorbener Mönche aufgebahrt sind. Einzig die spärlichen Flammen der kleinen Kerzen spendet ein bisschen Licht. Die dürftige, flackernde Beleuchtung der Kerzen taucht diesen Ort in eine schummrige, gruselige, mystische Atmosphäre.

Wenige Minuten vorher standen wir noch bei strahlendem Sonnenschein eines warmen Spätsommertags in mitten einer belebten Großstadt und plötzlich waren wir in einer ganz anderen Welt, in einem engen, dunklen, beklemmenden und düsteren Kellergewölbe voller Mumien und Leichen. Die bedrückende Atmosphäre, welcher dieser Ort versprüht, hat uns einen kalten Schauer über den Rücken gejagt.

Die übrigen Besucher der Höhlen machten dieses skurrile Bild nochmal im einiges surrealer. Außer uns waren dort zum größten Teil nur alte Frauen, die vor den Mumien knieten und hochkonzentriert, beinahe wie in Trance verfallen, zu den verstorbenen Mönchen beteten. Die in den Grabkammern kauernden Damen, die bei der spärlichen Beleuchtung ihrer Kerzen leise in einer monotonen Stimmlage ihre Gebete vor sich hin murmelten, machten die ohnehin schon beklemmende Atmosphäre nochmal um einiges gruseliger.

Zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort hätte es keinen von uns überrascht, wenn dieser schöne Sommertag plötzlich zur Nacht der lebenden Toten geworden wäre und wenn sich die toten Mönche beschworen von den Gebeten der Gläubigen plötzlich wieder aus ihren Gräbern erhoben hätten.

Bevor dies jedoch passierte, folgten wir einem schmalen Gang zu einem entfernten Licht, welches grell am Ende des Ganges leuchtete. Und plötzlich standen wir wieder draußen im Freien unter der warmen Sommersonne. Plötzlich war dieses surreale Erlebnis auch schon wieder zu Ende, so schnell wir es begonnen hatte. Wir waren wohl nur knappe fünf Minuten in diesen Katakomben, doch kamen uns die Zeit wie eine Ewigkeit vor. Fünf Minuten unseres Lebens, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben und die keiner von uns so schnell vergessen wird.

Cultural Clash Nr. 6 – Zu Gast in einem Steakhaus in Kiew

Geflasht von diesem Erlebnis haben wir unsere Sightseeing Rundreise durch Kiew bei strahlendem Sonnenschein fortgesetzt und wurden überwältigt von der Schönheit dieser Stadt.

Kiew geizt nicht mit zahlreichen beeindruckenden, altehrwürdigen Gebäuden und imposanten Monumenten, an denen man sich einfach nicht satt sehen kann. Die freundlichen, lebensfrohen Menschen versprühen eine Energie, der man sich nur schwer entziehen kann, und tragen einen großen Teil zu der packenden, lebendige Atmosphäre dieser Stadt bei.

Von all diesen Impressionen beeindruckt, war es am frühen Abend schließlich Zeit uns wieder auf Nahrungssuche zu begeben. Und wir wurden auch recht schnell fündig. In einer Nebenstraße ist uns ein Steakhaus aufgefallen, das einen vielversprechenden Eindruck machte.

Steakhaus in Kiew

http://www.whiskycorner.kiev.ua/ru/home

Und dieser Eindruck sollte sich auch mehr als bestätigen, denn wir sind wohl in einem der nobelsten und edelsten Restaurants ganz Kiews gelandet zu sein. Das Essen, das uns hier kredenzt wurde, war ausgezeichnet. Das Fleisch war von bester Qualität und auf den Punkt perfekt gebraten. Die Portionen waren überaus großzügig und mehr als reichlich. Jetzt mag man sich als Leser dieser Zeilen fragen, was denn an dieser Geschichte so surreal sein mag. Eine skurrile Wendung nahm die Geschichte nämlich, als wir die Rechnung erhalten haben.

Denn für ein hervorragendes riesiges Rindersteak mit reichlich Beilagen und zwei Getränken hat jeder von uns gerade einmal knappe zwanzig Euro bezahlt. Richtig krass wirkt dieser Umstand erst, wenn man die Rechnung mit deutschen Preisen vergleicht. Nur wenige Tage vor unserer Abreise nach Kiew waren wir in einem vergleichbaren Steakhaus in München und haben dort für ein einziges Rindersteak gleicher Größe und Qualität sage und schreibe 60€ bezahlt. Nur für das Fleisch wohlgemerkt, ohne Beilagen oder Getränke.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurden uns die krassen Unterschiede in Sachen Einkommen zwischen Deutschland und der Ukraine bewusst, denn zu sechst haben wir also einen Betrag bezahlt, der etwa der Hälfte des monatlichen Durchschnittseinkommens in der Ukraine entspricht. Der durchschnittliche Ukrainer wird sich wohl einen Besuch in diesem Restaurant niemals leisten können oder leisten wollen, höchstens vielleicht zu einem ganz besonderen Anlass. Und wir haben hier gespeist wie Gott in Frankreich zu einem für unsere Verhältnissen absolutem Schnäppchenpreis.

So ging auch unser letzter ganzer Tag in Kiew zu Ende. Zwar bei weitem nicht mehr so ereignisreich und nicht mit derartig außergewöhnlichen Erlebnissen wie am Vortag, aber nichtsdestotrotz nicht minder schön. Ganz in Gegenteil, denn Kiew hat uns an diesem Tag mit seiner Schönheit und Eleganz definitiv das Herz gestohlen.

Cultural Clash Nr. 7 – Straßenfest am Majdan

Am letzten Tag in Kiew wollten wir vor unserem Abflug nochmal ein bisschen durch die Stadt schlendern und haben uns noch einmal aufgemacht Richtung Majdan, der uns ja zwei Tage zuvor mit der Militärparade ins Staunen versetzt hat.

Doch heute war hier von Militär und Soldaten keine Spur, heute fand an dieser Stelle ein großes, fröhliches Straßenfest statt. An dutzenden Stände wurden Leckereien, Getränke und Souvenirs verkauft, Musik ertönte aus Lautsprechern, es herrschte eine ausgelassene und fröhliche Stimmung. Ein Teil der Straße vor dem Majdan war abgesperrt und hier fand ein Fahrradrennen statt, in dem durchtrainierte Athleten auf ihren professionellen Rennrädern ihre Bahnen zogen und im friedlichen sportlichen Wettstreit Jagd aufeinander machten.

Wenn wir es nicht mit eigenen Augen erlebt hätten, wir hätten es niemals geglaubt, dass nicht einmal 48 Stunden zuvor genau an dieser Stelle Truppen von Soldaten aufmarschierten und dutzende Panzer und weitere erschreckende Kriegsmaschinen einem militärischen Säbelrasseln gleich vorgeführt wurden. Und heute wird hier ein friedliches, fröhliches Fest zelebriert, es wird ausgelassen gefeiert, gelacht und getanzt, es herrscht eine lebensbejahende, optimistische Stimmung. Einen besseren und schöneren Abschluss unserer Reise hätte uns Kiew nicht bieten können.

In nur wenigen Tagen hat Kiew unser Herz gestohlen und sich mächtig ins Zeug gelegt uns ein Highlight nach dem anderen zu präsentieren. Zweifelnd und als Skeptiker sind wir damals nach Kiew aufgebrochen, doch als schwer begeisterte Fans dieser Stadt sind wir wieder zurückgekehrt. Heute würden wir Kiew jeden uneingeschränkt als Top Reiseziel und absoluten Geheimtipp dringendst empfehlen.

Unsere Reise nach Kiew war schlichtweg ein unvergleichliches Erlebnis, das wir in unserem Leben nie wieder vergessen werden. Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Kiew findet ihr hier.

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